Am 25. Februar 2010 wird die 22-jährige Amal Jaafar erstochen. Die gebürtige Libanesin ist in den Bruder ihrer Freundin verliebt. Laut aktuellem Ermittlungsstand ist es letztere, die ihre kurdische Freundin der Ehre wegen erstochen hat. Zurück bleibt eine vierjährige Tochter.
Der aktuellste Fall eines Ehrenmordes ist sicherlich einer der wenigen, in denen der Täter eine Frau ist. Er erschüttert die Gesellschaft wie jeder andere aber tief.
Was uns über die Medien meist vermittelt wird, ist aber nur das Ende einer langen, meist schrecklichen Geschichte, in der das Trennen von Gut und Böse, von Recht und Unrecht alles andere als schwarz und weiß gesehen werden kann.
Regisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin Feo Aladag hat sich sechs Jahre lang mit dem Thema der Ehrenmorde beschäftigt, ging zu Gerichtsprozessen und unterhielt sich mit Beteiligten. Herausgekommen ist ein brillanter Film, der ohne unnötigen Schnickschnack den Zuschauer aufrüttelt und für ein leider sehr aktuelles Thema sensibel macht.
Die 25-jährige Umay (Sibel Kekilli) flüchtet mit ihrem Sohn Cem (Nizam Schiller) vor ihrem gewalttätigen Mann Kemal (Ulfuk Bayraktar) aus Istanbul zu ihrer Familie nach Berlin. Hier will sie sich ein neues Leben aufbauen. Doch schon bald stößt sie auf Widerstände in der eigenen Familie. Diese macht sich Sorgen um ihr Ansehen und will Umays Sohn zurück zum Vater bringen. Die junge Frau flieht erneut.
Sicherlich nicht ohne Grund war der Film, auf den 60. Berliner Filmfestspielen, einer der am meisten diskutiertesten.
Mit unglaublicher Detailtreue wird eine Geschichte erzählt, die sich hinter den meisten Ehrenmorden abspielt, ohne dass die Gesellschaft davon weiß. Feo Aladag schafft es ein brisantes Thema aufzuarbeiten, ohne dabei in Klischees abzurutschen oder Partei zu nehmen.
Nahe Kameraaufnahmen geben schonungslosen Einblick in die Gefühlswelt aller Familienmitglieder, die alle in einem vielschichtigen Konflikt involviert sind, der es nicht erlaubt, lediglich in die Täter und die Opfer zu unterscheiden.
So schimmert im stolzen und strengen Vater (Settar Tanriögen), vor dem die ganze Familie Ehrfurcht hat, immer wieder auch ein Mann durch, der seine Tochter liebt. Doch genauso wie die Mutter (Derya Alabora)und die Söhne (Tamer Yigit, Serhad Can) ist er in die starren Familientraditionen und Kodexe eingebunden, für die sie sich alle instrumentalisieren lassen und denen sie sich nicht entziehen können.
Umay verliebt sich schließlich neu. In ihren Arbeitskollegen Stipe (Florian Lukas). Mit ihm kommen doch ein paar wenige schöne Momente auf die Leinwand, in denen die junge Frau ganz sie selbst sein kann.
Doch da sie unentwegt die Annäherung an ihre Familie sucht, welche sie jedoch schon längst verstoßen hat, folgen den harmonischen Szenen umso brutalere.
Diese Hartnäckigkeit, mit der die junge Frau versucht, wieder Anschluss an ihre Familie zu finden scheint an manchen Stellen unglaublich. Als sie beispielsweise mit ihrem Sohn die Hochzeit ihrer Schwester besucht, fragt man sich schon, warum sie ihr Leben und vor allem das ihres Sohnes so herausfordert.
Das Drama spitzt sich zu und erreicht in seinem Schluss einen Höhepunkt, der erschreckend ist und bestimmt in dieser Form nicht erwartet wurde.
Die Fremde ist kein Film, den man gesehen und nach dem Abspann schon wieder fast vergessen hat. Mitreißend erzählt er eine authentische Geschichte, die unter die Haut geht und einen ganz neuen, weil sehr tiefgehenden Blick auf das Thema der Ehrenmorde wirft.
Die Fremde von Feo Aladag wurde mit dem Prädikat Besonders wertvoll ausgezeichnet und läuft am 11. März 2010 in den deutschen Kinos an.
Zum Kino:
www.kinos-in-mannheim.de